Roller Derby ist vielen in Kassel vielleicht immer noch unbekannt. Das wirkt besonders erstaunlich, da wir dieses Jahr auf das zehnjährige Bestehen unseres Teams zurückblicken. In dieser vergangenen Zeit haben wir stets viel Werbung gemacht und Präsenz gezeigt. Zunächst natürlich, um immer wieder Mitstreiter*innen für diesen tollen, alternativen Teamsport zu begeistern und für dessen Verbreitung lokal und weltweit zu gewinnen. Später dann, um Zuschauer*innen und Fans zu Veranstaltungen und vor allem zu Spielen zu locken. Viel Eigeninitiative, viel Herzblut und Leidenschaft stecken in diesen Jahren. Wir haben uns einiges erarbeitet, was heute die Grundlage einer sympathischen League zwischen Top-Organisation und kreativem Chaos als Teil einer internationalen Gemeinschaft bildet.
Alle Aktiven, die sich jede Woche zum Training auf dem Track treffen und vor Stürzen und blauen Flecken keine Scheu haben, bekleiden im Team meist noch weitere Funktionen, ohne die all dies nicht möglich wäre. Diese Ressortarbeit erstreckt sich von den Finanzen über Trainingsleitung (von Einsteiger*innen bis Bundesliga-Team und Schiedsrichter*innen-Ausbildung), Öffentlichkeitsarbeit, Design, Veranstaltungsplanung bis hin zur Pflege des Equipments und der Internetpräsenz. Alles zusätzliche Aufgaben neben zwei regelmäßigen Trainingsterminen in der Woche.
Was sich nicht geändert hat in all dieser Zeit, ist die schnelle Erklärung von Roller Derby: Ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen und einer ovalen Bahn, der vor allem von Frauen gespielt wird. So weit, so richtig. Auch wenn man sich danach weder den Sport und sein teils kompliziertes Regelwerk, noch den Vollkontakt, oder gar die Spieler*innen mit Rollschuhen und Schutzausrüstung wirklich vorstellen kann. Auch nicht, was sich hinter dem Sport und seiner Community noch alles verbirgt und welche Rolle sie für das Empowering von Mädchen und Frauen weltweit schon spielen. Und damit sind nicht nur die kreativen Kampfnamen wie „Jane Rambo“ oder „Wendy Wallbanger“ gemeint, mit denen sich die Aktiven in der Derbyszene betiteln und kennen.
Das bereits seit den 1930er Jahren in Nordamerika immer wieder aufkeimende Phänomen Roller Derby schwappte 2006 in seiner „neuesten Welle“ als punkiger, alternativer Kontaktsport für Frauen über den großen Teich zu uns. Und auch eine Gruppe aus Kassel hat seit 2011 ihren kleinen Teil dazu beigetragen, dass aus einer Gemeinschaft von verstreuten Vereinen mit einer bunten Mischung aus Spieler*innen sowie ambitionierten Helfer*innen über die Zeit ein richtiger Sport mit internationalem Regelwerk, Schiedsrichter*innen-Ausbildung, Welt- und Verbandsmeisterschaften und einer Bundesliga in Deutschland hervorging. Und als Randnotiz: ohne jemals einen Rollschuh in eine Kasseler Sporthalle gesetzt zu haben. Dazu später mehr.
Nach der Gründung von Kassel Roller Derby als League und Taufe des nach wie vor einzigen spielenden Teams, der „Bashlorettes“, wurden zunächst auf Parkdecks und freien Flächen erste Rollversuche unternommen. Aber schnell wurde klar, dass eine Halle und eine Vereinszugehörigkeit unabdingbar waren. In Ermangelung von Hallenzeiten in Kassel wurde damals recht schnell der Sportkomplex in Baunatal als bis heute regelmäßiger Trainingsort auserkoren. Auch die meisten Heimbegegnungen in Form von offiziellen Spielen (Bouts) oder Freundschaftsspielen (Scrimmages) wurden hier ausgetragen, sowie Lehrgänge (Bootcamps) mit externen Trainer*innen oder spezielle Austragungsformate wie die „Sur5al“-Turniere veranstaltet. Alle Mitglieder waren zunächst in den Vereinen KSV und GSV Eintracht Baunatal gemeldet. Das erste offizielle Spiel der Bashlorettes fand dann im November 2013 auswärts gegen die Dresden Pioneers statt und endete als Niederlage sowie mit der Verletzung eine Spielerin. Der Lust auf neue Herausforderungen und spannende Begegnungen hat dies aber keinen Abbruch getan und ab dem Jahr 2015 wurde zudem an der frisch gegründeten Bundesliga teilgenommen. Zuletzt, aufgrund stark schwankender Einsatzfähigkeit und Ausfällen im Team, geschah dies im Rahmen einer Spielgemeinschaft mit Mitgliedern der Splatterfairies Marburg, mit denen wir schon länger ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis pflegen. Größter Erfolg war der Aufstieg von der dritten in die zweite Liga: Für nur eine, dafür harte Saison… Zwischendurch wurden weiterhin auch Spiele gegen befreundete Leagues organisiert und natürlich auch deren Begegnungen unterstützt, durch das Stellen von Referees (Schiedsrichterinnen) und NSOs (Nicht-skatende Offizielle).
Im Frühjahr 2018 konnte nach einem erfolgreichen Teambonding-Wochenende nebst Training auf der Jugendburg Sensenstein bei Nieste ein regelmäßiger Trainingstermin dort aufgetan werden. Das entlastete nicht nur die Teamkasse und führte erstmals zu geringeren Mitgliedsgebühren, sondern eröffnete glücklicherweise auch eine hervorragende Location für verschiedene Veranstaltungen.
Kurz zuvor fand Kassel Roller Derby eine neue Heimat als eigene Sparte beim Dynamo Windrad e.V. Wir sind weiterhin sehr froh über diesen Schritt, da wir uns im Dynamo gut aufgehoben fühlen und eigene Ideen einbringen können. Gesellschaftliches Engagement gegen Diskriminierung und für LGBTIQ-Rechte sind nicht nur Eckpfeiler der internationalen Roller Derby-Community, sondern finden sich auch hier wieder. An der Hallensituation hat der Wechsel zu einem Kasseler Verein indes leider noch nichts verbessern können. Weiterhin müssen Fahrgemeinschaften gebildet und lange Anfahrten für regelmäßiges Training im Landkreis in Kauf genommen werden. Von weiterhin hohen Kosten ganz zu schweigen. Wieso das so ist, versuchen wir nun verstärkt nachzugehen, zuletzt auch auf regionalpolitischer Ebene, um vielleicht im Jahr des zehnjährigen Bestehens endlich einmal einen Rollschuh hier in die Tür zu kriegen. Mit den richtigen Ansprechpartner*innen und ein wenig Hartnäckigkeit wurde ein vielversprechender Neuanlauf unternommen. Natürlich macht die Pandemie-Situation dieses Unterfangen insgesamt nicht leichter.
Wir kommen nicht drum herum: Nun zum leidigen Thema Covid19, welches das Jahr 2020 und auch dieses Jubiläumsjahr nachhaltig prägte. Vollkontakt ohne Kontakt ist eher öde. Mehr wäre wohl nicht zu sagen nach vierzehn Monaten Training auf Abstand bzw. vollständigem Stillstand; ohne Spiele und der mittlerweile zweiten ausgefallenen Bundesliga-Saison. Aber wie auch viele andere Menschen, Organisationen und Vereine haben natürlich auch wir versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Im Rahmen der gültigen Beschränkungen, aber auch dem Befinden der League-Mitglieder, versteht sich. Neben Trainings im Freien (herzlichen Dank an dieser Stelle an die Freie Turnerschaft Niederzwehren) und alternativen Durchführungsvarianten mit Hygienekonzept, konnten auch andere gemeinsame Aktionen durchgeführt werden, um am alten Prinzip des Präsenz-Zeigens festzuhalten: Teilnahme am Spendenlauf der Dynamitas, Staffel für den dezentralen CSD und Rollschuhverleih im Rahmen anderer öffentlicher Veranstaltungen, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus wurde von unseren Trainerinnen während der Lockdown-Zeiten ein regelmäßig Online-Training als Videokonferenz angeboten. Denn als größte Herausforderung hat sich vor allem das Kontakthalten herausgestellt. Das letzte große Event, an dem sich das gesamte Team beteiligte, war Ende 2019: Ein von Kassel Roller Derby auf dem Sensenstein ausgerichtetes dreitägiges Bootcamp mit Trainer*innen aus Schottland und internationalen Teilnehmer*innen. Dass es so schnell keine Wiederholung eines so großartigen Wochenendes geben würde und knapp vier Monate später nicht nur die Welt des Sports auf dem Kopf stehen würde, konnte da noch niemand erahnen.
Trotz allem lässt sich feststellen, dass wir, die League Kassel Roller Derby, sehr stolz sind auf die vergangene Dekade mit ihren Höhen und Tiefen. Nicht nur die wenigen verbliebenen „Dienstältesten“ aus der Gründungszeit blicken schon fast ungläubig auf diese Zeit voller Erfolge, Niederlagen, schöner Momente, unschöner Verletzungen, toller Erinnerungen mit Teams und Officials aus ganz Europa (und weiter weg) und unsere kleine, dafür aber umso feinere und großartige Fanbase zurück! Wir alle freuen uns, in Zukunft noch so manches neue Gesicht bei uns begrüßen zu dürfen und hoffen natürlich auch, noch ein paar kleine Jubiläumsevents mit euch realisieren zu können, um dieses Ereignis gebührend würdigen zu können.
Falls ihr Lust bekommen habt und es die Umstände wieder ermöglichen, schaut doch mal bei einem unserer Schnuppertrainings vorbei. Informationen findet ihr z.B. auf unserer Homepage: kassel-rollerderby.de
Und besucht unbedingt die Ausstellung „Es lebe der Sport“ im Stadtmuseum Kassel, wo wir und der Dynamo Windrad e.V. ebenfalls vertreten sind!
In diesem Sinne: Derby Love und Happy Birthday to us!